deutsche Version

Sascha Lino Lemke (*1976) / Sonja Schierbaum (*1977)

"...nicht im Traume"

für Tonband (2000/1)


Das Tonbandstück "nicht im Traume" ist die Folge eines gleichnamigen, im Herbst 2000 beim "Festival für Neue Musik Lüneburg" durch Frances M. Lynch uraufgeführten Stückes für Sopran, Tonband und Live-Elektronik. Es basiert auf einem Text der Hamburger Autorin Sonja Oh und hat hörspielähnliche Züge. Zudem ist es ein Stück über Musik, nämlich über die berühmte Lamento-Passacaglia-Arie aus Purcells Oper "Dido & Aeneas", in der Dido wehmütig Abschied nimmt mit den Worten:

"When I am laid in earth,
May my wrongs create
No trouble in thy breast;
Remember me, but ah! forget my fate."

Aus dieser Arie leitet sich das Tonmaterial größenteils ab. Als Programme wurden Soundhack für Mutationen, MAX/MSP für komplexe Schichtungen und Prozesse sowie ProTools für zusätzliche Verfremdungen und das endgültige Abmischen verwendet.


Sonja Schierbaum (*1977): Text zu "...nicht im Traume"

Ein Zimmer mit den Geräuschen der Nacht, die draußen lebt, Hunde bellen lässt aus der Ferne und stehen bleibt vor dieser Tür. Der Boden unter den Füßen gibt nicht nach, nur die Schritte sind lauter. Die Tür schließt den Raum in ein Schweigen, dem das Mädchen, das dort drinnen liegt, nicht entkommen kann, auch nicht in ihrem Traum, nur dass die Geräusche sich leise mischen darin.

Ich wache, ich schlafe, ich weiß nicht, ob ich träume:
Ich stehe auf und trete im Dunkel an das Fenster, an der schmalen Lichtspur entlang, die der Mond in das Zimmer wirft oder vielmehr auf dem schmalen Schatten des Fensterkreuzes, der auf meine Füße zeigt, ich folge ihm bis an das Fenster, ich steige leichtfüßig auf das Brett, ich brauche den rechten Fuß kaum zu heben, so ist es wohl immer im Traum, ich blicke auf das schwarze Wasser, das Haus steht am Kanal, stand es dort schon am Tage?
Ich bin mir nicht sicher.
Das Fenster öffnet sich, habe ich die Hand ausgestreckt?
Da sagt eine Stimme, ich möchte fliegen,
Meine Stimme?
So leise, so hoch,
Aber wir können doch nicht fliegen.
Es weint leise, auch mir steigen die Tränen in die Augen,
da erinnere ich mich auf einmal, als Kind flog ich noch am Tage, von Stühlen aus, den ganzen Flur hinunter bis zur Wohnungstür, später aber nur noch im Traum.

Ich breite die Arme aus, ich stoße mich ab, ich fliege, nein, ich falle,
fliegt man nicht so? Habe ich es verlernt?
Vor Entsetzen hält es den Atem an in mir, ich schlage wild mit den Armen,
was für Ringe werfe ich auf und störe die Nachtruhe der Schwäne und Fische.
Das Wasser schließt sich über meinem Kopf.
Ich sinke, die Stimme verklingt mit dem fehlenden Atem.

Ich wache auf, weil auch mein Atem nicht mehr geht, ich keine Luft mehr finde in all dem Wasser, überall Wasser, in Mund und Nase-

Die Mondspuren auf dem Boden. Ich atme auf.

Verstehst du?
Meine Flügel versagten im Traum und wir ertranken.
Wer glaubt schon an das Fliegen?

Es war keine böse Absicht vorhanden, es war eine bloße Tat ohne vorherigen Gedanken, also auch keine wirkliche Tat, vielleicht könnte man sagen: es geschah, ich hörte auf die Stimme, damit endlich etwas passierte, etwas entschieden würde: Flug oder Fall,-
Was denkst du?
Was denkst du?

...nicht im Traume