deutsche Version

Sascha Lino Lemke (*1976)

"Chutes pour piano, percussion et ordinateur" (2001)

für Klavier, Schlagzeug und Computer

Auftragswerk des "Festivals für Neue Musik Lüneburg"

uraufgeführt von Ancuza Aprodu (Klavier), Thierry Miroglio (Schlagzeug)

Dauer: ca. 20 Min.



"Chutes" erhielt seinen Namen aufgrund des ewig wiederkehrenden archetypischen Elements der fallenden Linie (la chute = der Fall).

Die harmonische Struktur von "Chutes" basiert auf fünf verschiedenen Spektren mit den Grundtönen E, Viertelton tieferes E, H, Viertelton tieferes AS und DES. Das Vibraphon muss mit Knetmasse unter den Klangstäben gestimmt werden, um die wichtigsten Mikrotöne für diese Spektren spielen zu können.

Abgesehen von der spektralen Konzeption gehe ich in diesem Stück einigen Ideen zu den Themen Filterung und Resonanz nach. Im ersten Teil z.B. werden die fünf Spektren plus eine Wiederholung des Spektrums auf E quasi herausgefiltert aus der von Klavier und Vibraphon gespielten hyperchromatischen Skala: wenn die Skala einen dem Spektrum zugehörigen Ton erreicht, bleibt dieser "hängen", er wird wiederholt während die Skala weiterläuft. So baut sich allmählich der Spektralakkord auf, je weiter die Skala fortschreitet. Im zweiten Teil filtert der Pianist (temperierte) Varianten der Spektren aus chromatischen Clustern heraus mit Hilfe von Resonanztechniken. Im dritten Teil erinnern die ringmodulierten Arpeggien von Klavier und Vibraphon an auf- und absteigende Filter, die verschiedene Teile der Spektren hervortreten lassen. Im gro§en Schlagzeugsolo des vierten Teils werden die Klavierseiten zum Hallraum des Schlagzeugs, somit wird das Klavier zu einer Art Filter des Schlagzeugs, die Klänge werden über die rückwärtigen Lautsprecher wiedergegeben. Die FM-ähnlichen Glissandi im der sechsten und siebten Teil können ebenfalls als kontinuierlicher Filterungsprozess gesehen werden, der sich durch ein klar definiertes harmonisches Feld bewegt. Am Ende dieser Abschnitte steht ein komplexer Klang der alle fünf Grundspektren zusammenführt. Dieser Klang wird dann mit einem Hochpassfilter so verändert, dass am Ende nur noch ein enges Band übrigbleibt, das zwischen den Tönen der beiden höchsten Klaviertasten liegt (T. 198). Die folgende Überleitung zur Coda beschäftigt sich mit der Färbung (Filterung) des Klanges der beiden höchsten Klaviertöne durch Einsatz von Pedalen und stumm gedrückten Tasten. In der improvisatorischen Coda spielt der Pianist Flageolets der tiefsten Klaviersaiten und filtert derart den reichen Klang dieser dicken Saiten.

Die Live-Elektronik besteht aus zwei Elementen: erstens der Amplifikation, Verräumlichung und dynamischen Interpretation der Klavierresonanzen und zweitens einem Computerpart, der in MAX programmiert ist. Das Klangergebnis wird quadrophon wiedergegeben. Im 1., 6. und 7. Teil synthetisiert der Computer harmonische Strukturen mit der Kombination von additiver Synthese und Samples. Die auf Schlagzeugklängen basierenden Samples wurden mit MAX/MSP, SoundHack, AudioSculpt und ProTools bearbeitet. Die Interpreten sind frei in der Wahl ihrer Tempi, da der Computerpart durch den Computermusiker synchronisiert werden kann (der Computer berechnet laufend das derzeitige Tempo und passt die Synthese entsprechend an). Im dritten Teil wirken Ringmodulatoren wie ein spektraler Harmonizer, der dem reinen Spektrum weitere Partialtöne hinzufügt. Der fünfte Teil ist ein quadrophones Computersolo, das auf den fünf Grundtönen der Spektren basiert, die mit stark heruntertransponierten gestrichenen Vibraphonsamples realisiert sind. Diese fünf tiefen Töne werden zwischen den Lautsprechern bewegt. Wenn zwei sich an einem Ort treffen, entsteht ein rhythmischer Puls aufgrund von Beatings. Je nachdem, welche Töne sich treffen, entsteht ein anderes Pulstempo. Die Pulsationen kündigen die Repetitionen des nächsten Teils an. Im achten Teil werden die Paukenglissandi und die Klavierresonanzen aufgenommen und durch variierende Abspielgeschwindigkeit als Glissandi wieder abgespielt. Das Stück endet mit der Wiedergabe des während des Konzerts aufgenommenen Anfangs, der nun nur noch wie eine sehr ferne Erinnerung wirkt.






english version

Sascha Lino Lemke (*1976)

"Chutes pour piano, percussion et ordinateur" (2001)

for piano, percussion and computer

commissioned by "Festival für Neue Musik Lüneburg"

premiered by Ancuza Aprodu (piano), Thierry Miroglio (percussion)

duration: approx. 20 min.



The harmonic structure of "Chutes" is based on five different spectra whose fundamentals are e, another e (sounding a quartertone lower), b, an a flat (sounding a quatertone lower) and a d flat. The vibraphone has to be tuned by putting modeling clay beneath the metal bars, so providing a reservoir of the most important microtones for these spectra.

Apart from this spectral concept, I explored several more or less abstract ideas about filtering and resonance. In section 1, for example, each of the five basic spectra (plus a repeated spectrum with the fundamental e) is gradually "filtered" out of a hyperchromatic scale played by vibraphone and piano. In section 2 the pianist filters these spectra (this time in "well-tempered" intonation) out of a chromatic cluster using resonance techniques. In part 3 the ringmodulated arpeggios of piano and vibraphone remind of a filter that is moved up and down emphasising different parts of a spectrum. During the big percussion solo (section 4) the resonances of the piano are amplified and diffused via the rear loudspeakers, using the properties of the piano as a filter for the live-part. The quasi FM-glissandi in section 6 & 7 can as well be seen as a continuous filterprocess, filtering a well-defined harmonic field. Part 8 again uses filtered clusters on the piano. A computer sample combining all five basic spectra goes through a high-filter-process that restrains the ambitus of the sound until only the two highest notes of the piano are left (bar 198). In the following transition, which leads to the coda, the piano pedal, and silently pressed low keys, work as different filters or, to be more precise, as resonators for these two high notes. In the improvised coda the pianist ist asked to play harmonics on the lowest strings of the piano, filtering the rich sound of these strings.

The live-electronics consist of two elements: firstly the amplification, diffusion and dynamic interpretation of the piano resonances, and secondly, a computerpart to be performed with MAX/MSP. The result is diffused by a quadrophonic setup of loudspeakers. In sections 1, 6 and 7 the computer synthesizes harmonic structures, combining additive synthesis with the playback of samples. These samples, that derive from percussion sounds, have already been processed with MAX/MSP, SoundHack, AudioSculpt and ProTools. The performers have the freedom to choose their tempi because the computer part is synchronised by the computer musician (the computer basically measures the actual tempo per quaver and adjusts the tempo of the synthesis process). In section 3, ringmodulation works as an spectral harmonizer, adding to the spectral arpeggios of piano and vibraphone other partials of the pure spectra. Section 5 is a computer solo playing back a pre-made quadrophonic sample. A bowed vibraphone tone is transposed to five extremely low pitches. These correpond to the fundamentals of the five spectra. The five samples are panned from one loudspeaker to the other. When two of them meet, a regular rhythmic beating is produced. The pulsating beatings, which have different tempi (depending on the two samples that meet at a loudspeaker), already announce the repetitions of the following passage. In section 8, the glissando of the timpani and the resonances of the piano are recorded played back with glissandi caused by changing the playbackspeed. The piece ends with the playback of the beginning which has been recorded during the performance, like a very distant memory.

Chutes