Sascha Lino Lemke (*1976)
"Spanische Ouvertüre" (2001)
für zwei Violinen con scordatura
Auftragswerk von Kolja Blacher und uraufgeführt von Ekaterina Bolotova & Julius Bekisch
Dauer: ca. 8 min.
Die "Spanische Ouvertüre" für zwei Violinen con scordatura (2001) erforscht die mikrotonalen Möglichkeiten einer einfachen spektralen Scordatur. Die acht Saiten der zwei Instrumente werden auf den 4., 5., 6., 7., 9., 11., 13. & 15.Teilton des virtuellen Grundtons Kontra-F umgestimmt. Um möglichst präzise Mikrotöne spielen zu können, ohne daß diese mit dem Ohr des Spielers gesucht werden müssen, kommen fast ausschließlich leere Saiten und Naturflageolets zum Einsatz. Dieses beschränkte Material wird nun von verschiedenen Blickwinkeln erschlossen. Zu Beginn des Stückes etwa wird das in einer merkwürdig unregelmäßigen mikrotonalen abfallenden Skala angeordnete Tonmaterial Schritt für Schritt (beinahe tastend) erobert. Dabei pedalisierte Töne ergeben bisweilen enge Cluster komplexer Intervallverhältnisse, die tiefe Differenztöne hervorrufen, die allmählich eine zweite aufsteigende Schicht ergeben, die das Tonmaterial in entgegen gesetzter Bewegungsrichtung vorstellen. Dieser Prozeß nimmt zwei Anläufe, die durch einen kontrastierenden Abschnitt getrennt sind. Im Gegensatz zu den sie umgebenden melodischen und harmonisch eher komplexen Skalenteilen, zeigt dieses bewegte Intermezzo nun die spektralen Eigenschaften der Scordatur: Arpeggien von reinen Spektren auf f, c und einem 14 Cent tieferen a werden in einer Art "cut and paste"-Technik aneinandergeschnitten, zuguterletzt wird der letzte Spektralakkord zunehmend gestaucht, bis am Ende der Ambitus auf eine Prima zusammengedrückt ist und ein hoher Einzelton übrigbleibt. Nach dem der zweiten Anlauf von abfallenden und aufsteigenden Skalen beide Linien auf dem Ton der höchsten leeren Saite zusammenführt, folgt ein Abschnitt mit der umgekehrten Idee: aus dem Unisono gleiten Glissandi in spektrale Akkorde der leeren Saiten. Am Ende dieses Glissando-Abschnitts erreicht das Stück die tiefsten Töne des Tonvorrats. Der folgende zweite Arpeggio-Teil präsentiert den Spektralakkord der leeren Saiten nun in voller Pracht. Eine melodische Überleitung, die an die fallenden Linien des Beginns erinnert, etabliert einen basso ostinato, der zur Grundlage des folgenden Chorals wird. Dieser Choral spielt mit "klassische Akkorden" die durch den Zerrspiegel der mikrotonalen Skordatur stark gebrochen erscheinen. Es folgt eine groteske Flamenco-Passage, die mit glissando-artig verschiebende spektrale Akkorde und Tempowechsel arbeitet (ein wenig wie ein Tonbandgerät, dessen Abspielgeschwindigkeit sich laufend ändert). Das Stück endet mit einer Reminiszenz des Beginns.
Sascha Lino Lemke (*1976)
"Spanische Ouvertüre" (2001)
for two violins con scordatura
commissioned by Kolja Blacher and premiered by Ekaterina Bolotova & Julius Bekisch
Duration: approx. 8 min.
The "Spanische Ouvertüre" for two violins con scordatura, written in 2001, is a research project in the microtonal possibilities of a simple spectral scordatura. The eight strings of the two instruments represent the partials nos. 4, 5, 6, 7, 9, 11, 13 and 15 of a virtual fundamental F0. In order to get precise pitches, without the instrumentist having to search for them by ear, I use open strings and natural harmonics most of the time. Different perspectives on this limited material are explored throughout the piece. In the beginning, for example, my reservoir of pitches, in the form of a scale of unequal intervals, is examined step by step, starting high in register and descending (this process continuous, with interruptions, until bar 80). Chords of tight, complex intervals invoke low differential tones which develop into a second, ascending layer which exposing the pitch material from the other end of the scale. There are two attempts at this process (bars 1 -18 & 59 - 68) seperated by a contrasting section (bars 18 - 58). Contrary to this melodic, and harmonically rather complex, exposition of the pitch material, the fast intermezzo (bar 18 - 58) shows the spectral aspects of the scordatura: Pure spectra of f, c and an a (which is slightly lower than the well-tempered a) played as arpeggios, are "cut and paste" against one another before the last spectral chord convolutes, leaving a single high note. After the second attempt at descending and ascending lines, the inverse of this idea appears; single notes are morphed into spectral chords (bars 68 - 80). At the end of this glissando-section, the piece reaches the lowest note of my pitch reservoir. The following part (bars 80 - 88) refers to the spectral arpeggios of the first fast intermezzo, this time emphasizing the open strings. A melodic transitional passage (bars 89 - 94), that reflect the descending mouvement of the beginning, establishes a basso ostinato which will be the base of the following "Chorale". This "Chorale" (bars 95 - 106) explores more classical chords with "false" intonation. A Flamenco-like passage (bars 108 - 120) which uses shifting spectral chords and changing tempi (a little like analoge tape music) ends in reminiscence of the beginning.