Sascha Lino Lemke (*1976)
"Zanzaretta"
Madrigal mit Gesualdo
für Blockflötentrio & Elektronik
Kompositionsauftrag des Wandsbeker Musikfests 2014 für Elb' an Flutes
Dauer: ca. 15 min.
In Carlo Gesualdos (ca. 1561 - 1613) Madrigal "Ardita zanzaretta" aus seinem 6. Madrigalbuch beneidet der unglücklich Verliebte eine dreiste Mücke, die es immerhin schafft, die grausame Angebetete zu stechen und -von ihr an ihrem Busen erschlagen- einen süßen Tod zu sterben, allem Sehnen entledigt. Diesem Madrigal ist der Titel entlehnt. Immer wieder schwirren transformierte Fetzen von Gesualdos Musik oder dem Text durch den Raum und kontrapunktieren eine eigene Musik. Der Text des Madrigals bildet zudem eine von mehreren geheimeren Konstruktionsgrundlagen des Stücks. Gerade der Beginn hat etwas durchaus insektenhaftes mit seinen feinen geräuschhaften herumirrenden Klängen. Und am Ende wird möglicherweise ein vermeintliches Insekt von den Spielern erschlagen. Von diesen bildhaften Momenten und den Gesualdo-Allusionen abgesehen spielt die Zahl 3 eine große Rolle: 3 Spieler, die in einem Dreieck um das Publikum herum sitzen, 3 ebenso aufstellte Lautsprecher zur Verstärkung der Musiker und der im Raum bewegten elektronischen Klänge, 3 durch improvisatorische übergänge verbundene Teile, jeder Spieler spielt jeweils 3 verschiedene Blockflöten von der tiefen Bassblockflöte über Alt- zu hohen Piccolo-Blockflöte, in immer neuen Kombinationen.
Das Stück experimentiert außerdem mit der Möglichkeit, die Spieler in verschiedenen Tempi gleichzeitig spielen zu lassen und reizt im Laufe des Stücks verschiedenste Möglichkeiten aus. Mal spielen die drei Spieler in drei verschiedenen Geschwindigkeiten jeder für sich autark, so dass der Hörer sich entweder auf einen Spieler fokussiert und dessen Tempo mitfühlt, oder er vergleicht das "Verschieden-Schnelle" zwischen den Spielern oder empfindet die Musik als rhythmisch schwebend, als Vielfalt sich überlagernder Geschehnisse. Dann wieder synchronisieren sich die Spieler zu einem gemeinsamen Tempo, wodurch ein Tuttieindruck entsteht, alle ziehen nun am selben Strang. Dazwischen sind allerlei Zwischenzustände denkbar. Bei der Komposition habe ich mir ein Notenpapier erstellt, dass mir genau zeigt, wie die Stimmen bei unterschiedlichen Tempi zusammenkommen, so dass trotz allem die Dramaturgie, Zusammenklänge und Synchronpunkte genau komponiert werden konnten. Damit dies auch praktisch realisierbar ist, hat jeder Spieler seinen eigenen "Dirigenten": Alle drei spielen mit einen kleinen Kopfhörer im Ohr, über den eine Art Metronom zu hören ist.
Die Rolle der Elektronik ist vielfältig. Zum einen werden die Liveparts im Konzert aufgenommen und nach einem exakten Plan daraus Echos, Antworten des Computers auf die Blockflöten generiert. Zum anderen sind transformierte Gesualdo-Vokalstimmen zu hören. Der Computermusiker löst zum einen die Clicktracks aus und kontrolliert die Lautstärken. Zum anderen bringt er sich improvisierend ein, insbesondere in den übergängen zwischen den drei Teilen.
Ardita zanzaretta | Eine dreiste Mücke |
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Morde colei che il mio cor strugge e tiene | sticht diejenige, die mir das Herz zerreißt |
In così crude pene; | und es in grausamen Qualen hält. |
Fugge poi e rivola | Dann flieht sie und fliegt abermals |
In quel bel seno che il mio cor invola, | an jene schöne Brust, die mir das Herz gestohlen hat. |
Indi la prende e stringe e la dà morte | Dort wird sie erhascht, zerdrückt und totgeschlagen, |
Per sua felice sorte. | ein glückliches Schicksal für die Mücke. |
Ti morderò ancor io, | Auch ich werde dich beißen, |
Dolce amato ben mio, | meine süße Geliebte, |
E se mi prendi e stringi, ahi, verrò meno | und wenn du mich ergreifst und mich zerquetscht, werde ich |
Provando in quel bel sen dolce veleno. | das süße Gift deiner Brust nicht mehr schmecken können. |